Lesetipps von Herrn Rüssel im Sommer 2020
Die Unsichtbaren
Diese große, so poetische wie dramatische norwegische Familiensaga, beginnend etwa 1908, erzählt uns von Ingrid, der anfangs kleinen Tochter des Fischers Hans Barrøy auf einer winzigen Schäreninsel hoch im Norden der norwegischen Westküste. Wir nehmen Teil am rauen Leben in atemberaubender Landschaft so fern ab von anderen Menschen und Siedlungen, daß man 2 Stunden und mehr über das offene Meer zu rudern hat, um einen Sack Kartoffeln zu kaufen oder Zucker, und um später zur Schule zu kommen. Und im Winter, wenn der Vater für Wochen zum Dorschfang an den Lofoten unterwegs ist, bleibt immer fraglich, ob er das überhaupt überleben wird.
Im zweiten Teil dann, mehr als 30 Jahre später, als Norwegen von deutschen Truppen besetzt ist, wird ein russischer Kriegsgefangener schwer verletzt und dem Tode nahe, an Barrøys Insel angespült. Er hat das Bombardement eines deutschen Truppentransport-Schiffs überlebt, das um das Nordkap herum entlang der Küste Gefangene nach Süden bringen sollte, aber von englischen Flugzeugen attackiert und zerstört worden war. Zwischen Ingrid und Alexander, den sie gesund pflegt, entspinnt sich eine kurze und gänzlich sprachlose Liebe, bevor er, so schnell es geht, wieder vor dem Zugriff der Gestapo verschwinden muss.
Dann im 3. Teil nach Ende des Weltkriegs, versucht Ingrid mit ihrer inzwischen 3-jährigen Tochter dem verschollenen Vater und seinen Spuren zu folgen – durch ein Land und eine Bevölkerung, da sie von Krieg und Kollaboration nichts mehr wissen will.
Quell des Lebens
Juni 1783 bis Februar 1784: der vielleicht gewaltigste Vulkanausbruch in Island in historischer Zeit.
Gut ein Fünftel der Bevölkerung, der Großteil von Vieh, Rindern und Schafen kommt ums Leben. Eine hohe Ascheschicht bedeckt das unfruchtbar gewordene Land, Gletscherschmelze und Überflutungen reißen kleine Ortschaften mit sich. Hungersnot herrscht und selbst die kirchliche Obrigkeit kann die Abgaben der ohnehin bettelarmen Bauern und Fischer nicht eintreiben.
Der König in Kopenhagen (denn Island gehörte damals wie Norwegen zum Königreich Dänemark)und sein Parlament fragen sich, was sie mit diesem Landstrich überhaupt noch anfangen sollen, wenn schon von dort keinerlei Steuern mehr zu erwarten sind. Die Idee heißt dann: wir holen die als Arbeitskräfte irgendeiner Art brauchbaren Männer ab, bringen sie als Fischer nach Nordnor-wegen oder als Manufakturarbeiter nach Seeland. Und die anderen, die Alten, die Kranken, die alleinstehenden Frauen ? Die sollen bleiben und mal schauen, wie sie überleben können.
Dagegen aber gibt es einen Einwand: geht ein solcher Transport ? Haben wir dazu genügend Schiffe, die wir gerade nicht anderweitig brauchen ? Muss man am Ende wochenlang das Militär einsetzen ? Ein Inspektor wird nach Island geschickt, der prüfen soll, wie das Ganze geht.
Und dessen Reise verfolgt Birigsson in seinem Roman. Und er läßt ihn in die Merkwürdigkeit dieser Welt fast und teils sogar jenseits des Polarkreises eintauchen und sich darin verlieren.
Bis er am Ende dabei beinahe selbst ums Leben kommt.
Bergsveinn Birgisson, Quell des Lebens Residenz Verlag
304 Seiten 24,- €
Ich bleibe hier
Eine packende dramatische Geschichte aus Südtirol vor und während des zweiten Weltkriegs. Das faschistische Regime Mussolinis in Italien und das nationalsozialistische Deutsche Reich stellen die Einwohner Südtirols vor für sie grausame Entscheidung: Zwischen Blut und Boden wählen zu müssen. Wollen sie in ihrer angestammten Heimat weiter leben, müssten sie ihre Kinder in italienische Schulen schicken in italienisch-sprachigen Unterricht, Italienisch als Amts- und Umgangssprache lernen und nicht mehr deutschsprachiger Polizei gehorchen. Oder aber sie folgen Hitlers Versprechen auf blühende große Bauernhöfe im Osten, in der dann ja eroberten Ukraine oder in Polen. Und das im Gebiet deutscher Regierung und Sprache. Trina, die Heldin von Balzanos Geschichte trifft die in ihrer Verwandtschaft und bei den Nachbarn umstrittene Entscheidung, mit Mann und Familie in ihrem kleinen Südtiroler Dorf bleiben. Sie scheidet dafür sogar aus ihrem Beruf als deutschsprachige Lehrerin aus – unterrichtet aber weiterhin heimlich abends in Scheunen die Kinder aller gebliebenen deutschsprachigen Bauern. Dann aber soll auch noch das Tal, in dem sie alle leben, durch einen Stausee geflutet und zerstört werden. Zum Ende des Kriegs entwickelt sich die dramatische Lage immer weiter und wird lebensgefährlich nicht nur für Trina.Ein Nummer 1 Bestseller aus Italien !
Marco Balzano, Ich bleibe hier
Diogenes Verlag
288 Seiten 22,- €
Luftpiraten
Luftpiraten sind raue Gesellen die in Luftlöchern leben. In Luftlöcher ist die Luft sehr dick, was selbstverständlich an den Bewohnern liegt. Die Piraten können aus ihren rechten Auge gefährliche Blitze schleudern. Darum verbergen sie es auch unter einer Augenklappe.
Eines Tages erhält der Luftpiratenlehrer Adiaba ein Luftpaket mit den kleine Luftpiratenjungen Zwolle. Doch Zwolle ist kein gewöhnlicher Luftpirat. Ihn fehlt das berühmte Blitzauge.
Adiaba schließt den kleinen in sein Herz. Dieses Buch ist von Markus Orths mit viel Sprachwitz, Poesie und Spannung geschrieben. Bestens geeignet für alle Michael Ende Fans.
Markus Orths, Luftpiraten
Ueberreuter Verlag
Kinderbuch ab 9 Jahren –
248 Seiten 14,95€